St. Georg

Es war vor langer Zeit eine Stadt. Ihr Name war Silena. Sie hatte Mauern und Türme. Die Menschen von Silena sprachen: „Wovor sollen wir uns fürchten? In den festen Mauern unserer Stadt fühlen wir uns sicher.“ Doch eines Tages geschah es. Die Menschen von Silena erschraken. Das Tier im See vor der Stadt rührte sich wieder. Lange hatte es geschlafen. Doch jetzt war es aufgewacht. Mit seinem Schwanz peitschte es das Wasser. Die Wellen schlugen bis an die Mauern der Stadt. Das Tier war hungrig. Es forderte Nahrung. „Was sollen wir ihm geben?“, fragten die Menschen den König. Er aber antwortete: „Gebt ihm, was es verlangt! Stellt es zufrieden! Wenn es satt ist, wird es uns in Ruhe lassen.“ Da schleppten die Menschen alles herbei, was sie hatten. Sie warfen es dem Tier in den Rachen. Sie suchten seinen Schlund zu füllen, sein Maul zu stopfen. Aber das Tier war unersättlich. Seine Gier wuchs von Tag zu Tag. Lebendiges wollte es nun haben, Schafe, jeden Tag zwei. „Wie soll das noch enden“, klagten die Menschen von Silena. Als alle Vorräte aufgebracht, alle Schafe geopfert waren, war das Tier immer noch nicht satt. Sein Hunger war größer denn je. Die Menschen eilten zum König. Sie erzählten ihm ihre Not. „König, was sollen wir tun?“, fragten sie. Der König aber gab zur Anwort: „Gebt dem Tier Menschen!“ Und das Los entschied, wer geopfert werden sollte. Ein Mann, eine Frau, ein Junger, ein Alter. Trauer erfüllte die ganze Stadt. Es war ein Weinen und Klagen. Eines Tages geschah es. Das Los fiel auf die Tochter des Königs. Sie sollte dem Untier geopfert werden. Der König war untröstlich. Er klagte und weinte jetzt mit den Menschen der Stadt. Er hätte alles Gold und Silber gegeben, um seine Tochter zu retten. Die Menschen aber blieben hart. Sie sagten: „Erfülle auch du das Gesetz, das du uns gegeben hast.“

Die Königstochter verließ die Stadt. Keiner ging mit ihr. Einsam war sie und allein. Traurig fragte sie sich: „Wie soll alles enden? Gibt es keinen Ausweg?“

Ein Reiter kam des Weges. Seine Fahne flatterte im Wind, eine Fahne mit dem Zeichen des Kreuzes. Georg war der Name des Ritters. „Kann ich dir helfen?“ fragte Georg. „Flieh“, antwortete die Königstochter. „Flieh, sonst mußt du mit mir sterben.“ Georg aber sprach: „Ich reite nicht von der Stelle, bevor du mir nicht sagst, warum du dich fürchtest. „Doch schon erhob sich ein fürchterliches Gebrüll. Der Drache stieg aus dem Wasser. Er spuckte Schwefel und Feuer. Georg hob seine Lanze. Er ritt mit Macht gegen das Untier. Es begann ein Kampf auf Leben und Tod. Der Drache wurde bezwungen. Da war einer gekommen, der furchtlos war, einer, der Mut hatte, einer der den Kampf wagte, einer, der stärker war als das Tier. Georg war der Sieger, der Held. Die Königstochter warf den Gürtel um den Hals des Tieres. Der Drache lag besiegt zu ihren Füßen. Der König, die Menschen staunten. Sie fragten: „Woher hat Georg die Kraft?“ Georg aber rief: „Fürchtet euch nicht! Im Zeichen des Kreuzes habe ich den Kampf gewagt. Im Namen meines Herrn habe ich den Drachen überwunden. Mit seiner Kraft könnt auch ihr das Böse besiegen.“ Der König dankte Georg. Er bot ihm all seine Schätze an. Georg aber ließ Gold und Silber unter den Armen verteilen. Dann ritt er aus der Stadt hinaus.